Ein Bündnis von insgesamt 23 Verbänden der Agrar- und Ernährungswirtschaft sieht das europäische Gentechnikrecht insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit neuen Züchtungsmethoden als veraltet an und fordert die Anpassung an den aktuellen Stand der Wissenschaft. In einem heute in Berlin vorgestellten offenen Brief kritisieren die Verbände, darunter der Deutsche Raiffeisenverband (DRV), der Deutsche Bauernverband (DBV) und der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP), das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), das im vergangenen Jahr neue Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas pauschal als Gentechnik eingestuft hatte.
Die Unterzeichner des Briefs weisen darauf hin, dass das Urteil auf einem Gesetz aus dem Jahr 2011 basiere, dessen wissenschaftliche Grundlagen aus den achtziger Jahren stammten und daher die relevanten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu den neuen Methoden nicht berücksichtigten. So sei beispielsweise nicht in Betracht gezogen worden, dass sich die durch Verfahren wie Genome Editing erzeugten Genveränderungen nicht von natürlich entstandenen Mutationen unterscheiden ließen. Zudem werde bei den neuen Züchtungstechnologien in den meisten Fällen kein neues Genmaterial in das Genom eingebracht.
Aus Sicht der Verbände bleibt mit dem Urteil des EuGH das große Potential der neuen Züchtungsmethoden weitgehend ungenutzt, beziehungsweise trägt nur außerhalb der Europäischen Union zum Züchtungsfortschritt bei. Dabei biete sich die Chance, über die deutlich schnellere Entwicklung besser angepasster Kulturpflanzen die Versorgung mit Lebensmitteln zu sichern und gleichzeitig deren Erzeugung nachhaltiger zu gestalten, da auch Wege zu einer effizienteren Anwendung von Pflanzenschutz- und Düngemitteln eröffnet würden.
Die Verfasser des offenen Briefs warnen außerdem davor, dass ohne eine Anwendung der neuen Züchtungstechnologien die Abwanderung wissenschaftlichen Sachverstands in Drittländer und erhebliche Wettbewerbsnachteile für die heimischen Züchter drohten. Zudem sei die Umsetzung des EuGH-Urteils bei importierten Agrarrohstoffen praktisch ausgeschlossen, da ein rechtssicherer Nachweis der per Genome Editing erfolgten Veränderungen nicht möglich sei.
Die Verbände unterstützen deshalb den Vorstoß eines Großteils der EU-Mitgliedsstaaten für eine Überprüfung des EU-Gentechnikrechtes und fordern die Politik auf Bundes- und EU-Ebene zu einer zeitnahen Anpassung auf. Sie pochen darauf, dass die bestehende europäische Begriffsbestimmung für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) auf die meisten Pflanzen nicht zutrifft, die durch neue Züchtungstechniken hergestellt wurden. Zudem verlangen die Verbände, dass der künftige Rechtsrahmen den globalen Handel mit solcherart entstandenen Agrarrohstoffen rechtssicher reguliert.
Unterdessen haben verschiedene Umwelt- und Anbauverbände Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner im Vorfeld des morgigen EU-Verbraucherrates aufgefordert, sich für eine "vollständige Umsetzung" des EuGH-Urteils stark zu machen. Sie pochen unter anderem auf die Sicherstellung der GVO-Freiheit für Raps- und Sojaimporte aus Nordamerika, die dort mit Genome Editing hergestellt wurden. Zudem soll Klöckner darauf drängen, dass die EU rasch Standardnachweisverfahren für derartig veränderte Nutzpflanzen entwickelt. AgE
(25.10.2019)